Anlässlich des 1050-jährigen Jubiläums der Regensburger Domspatzen präsentieren die Kunstsammlungen des Bistums Regensburg in Zusammenarbeit mit dem berühmten Chor eine Ausstellung der Künstlerin Julia Krahn.
Ein immersives Kunstereignis, das die Kraft der Harmonie spürbar macht, Musik als verbindendes Element feiert und eine tiefgreifende gesellschaftliche Reflexion anstößt. Vom 28. Mai bis zum 3. August 2025 wird die Ausstellung in der Kirche St. Ulrich am Regensburger Dom zu sehen sein.
WEISS SIND ALLE FARBEN
Julia Krahn über die Harmonie
WANN täglich 11-17 Uhr, freitags 11-20 Uhr
WO St. Ulrich, Domplatz 2
Eintritt frei
Am Freitag, 6. Juni 2025, schließt die Ausstellung bereits um 18:00 Uhr.
Weiß enthält das gesamte Spektrum – nicht sichtbar getrennt, sondern vollkommen vereint. Weiß symbolisiert Wahrheit, Frieden und Harmonie, aber auch Tod und vor allem Wandel. Es ist kein Nichts, sondern das Alles.
Julia Krahns Projekt kreist um den Regensburger Domchor – einen der ältesten und renommiertesten Chöre der Welt. Tatsächlich geht es der Künstlerin um das Konzept der Harmonie, eine vielleicht utopische, aber zumindest im musikalischen Bereich erreichbare Bedingung. Zu sehen sind einige der Kinder dieses Chors, fotografiert auf großformatigen, durchscheinenden Stoffbahnen, die zu beiden Seiten des als Ausstellungsraum dienenden Mittelschiffs hängen.
Harmonie als Utopie - Fotografie auf Stoff, 2024
Es ist ein ambitioniertes Werk. Der Druck von Fotografien auf großformatige Stoffbahnen spielt in Julia Krahns künstlerischer Praxis eine zentrale Rolle und stellt keineswegs bloß ein technisches Detail dar. Obwohl ihr Zugang stets von behutsamer Intimität geprägt ist, mündet ihre fotografische Arbeit häufig in ein raumgreifendes Format. Die Künstlerin verbindet mit ihrem Werk einen hohen Anspruch: Es sucht gezielt den öffentlichen Raum, entschlossen, in unser Leben einzudringen, Fragen aufzuwerfen und kollektive Reflexion ebenso anzustoßen wie Diskussion. In der Malerei entspräche diesem künstlerischen Ansatz das Fresko oder die monumentale Wandmalerei und damit jene Formen, die über Jahrhunderte den bedeutenden und symbolisch aufgeladenen Orten des gesellschaftlichen Lebens vorbehalten waren. In diesem Sinn ist Julia Krahns Arbeit zutiefst politisch, nicht durch den expliziten Inhalt, sondern durch die Art und Weise, wie sie sich dem Blick darbietet, sich nicht an das einzelne Individuum, sondern an die Gemeinschaft richtet.
Die Kinder auf den Fotografien sind mit geöffnetem Mund gezeigt, eingefangen in dem Moment, in dem sie eine Note anstimmen, Klang hervorbringen, wie in der Bewegung erstarrt. Die halbtransparente Beschaffenheit des Trägers lässt die Architektur des Raumes durchscheinen und verleiht diesen Körpern eine beinahe immaterielle, nicht greifbare Präsenz. Vor allem aber sind es Körper, die vom Licht durchdrungen sind. Und es sind Bilder, die eine doppelte Spannung aufbauen: Auf der einen Seite das voll ausgeschöpfte Potential eines Menschen im Akt des Singens, auf der anderen der leise, aber eindringliche Eindruck von Sprachverlust, der Abwesenheit von Atem. Und gerade in dieser Ambivalenz vermag das Bild zur Metapher für vieles zu werden, besonders für eine Empfindung, die unsere gegenwärtige Verfasstheit, womöglich gar die unserer westlichen Welt beschreibt. Ist die Abwesenheit von Stimme gleichbedeutend mit der Abwesenheit von Gedanken? Und ist die Abwesenheit von Gedanken eine Abwesenheit von Atem? (aus „Logos“, Antonio Grulli)
Den gesamten Text "Logos" von Antonio Grulli finden Sie hier.
Lamentatio Solitaria - Soundinstallation, 2025
Der Geist wird durch den ausströmenden Atem zu Wort und Klang. Vielleicht ist der Gesang deshalb die göttlichste aller Künste. Und ein Chor trägt unweigerlich eine Spur des Göttlichen in sich – als Harmonie von Atemzügen und Seelen, die im Gleichklang schwingen. Der Ausstellungsraum wird von einem Atemgeräusch erfüllt, welches das Raumvolumen mit beinahe physischer Präsenz durchdringt, als würde die Architektur selbst atmen, sich weiten und wieder zusammenziehen. Ein ruhiger, gleichzeitig schwerer Klang, der anhebt und wieder abebbt. Begleitend erklingen Stimmen: Die Künstlerin bat die Regensburger Domspatzen, das „Incipit Lamentatio“ (von Pierluigi da Palestrina) in Einzelstimmen einzusingen. Eine polyphone Klage wird zergliedert. Die Stimmen mahnen uns, dass Frieden nicht im Gleichklang entsteht, sondern im aufmerksamen Hören auf jede einzelne Stimme.
Eine Übersetzung des Klagelieds finden Sie hier.
Organo - Tonskulpturen, 2020
Etwas abseits der Fahnen werden Skulpturen aus der Serie Organo (2020) gezeigt: Sie erinnern an Körperteile, Blumenvasen oder Blasinstrumente. Es sind Objekte, die ihrer funktionalen Realität entzogen sind, um stattdessen einen starken symbolischen Wert anzunehmen. Räume der Transformation, an denen ein Lebensereignis bestimmt, definiert und aufrechterhalten wird.
Harmonie als Utopie - Performance-Video, 2025
Im Video begleitet die Kamera eine Performance der Künstlerin, in der sie die Skulpturen der Serie Organo als Räume der Transformation nutzt – sie atmet hinein, spricht durch sie hindurch. Ihre Worte entstammen einer Umfrage unter den Regensburger Domspatzen zum Thema „Harmonie als Utopie“. So entsteht eine körperliche, stimmliche und symbolische Reflexion über Klang, Gemeinschaft und das Potenzial einer neuen Zukunft.
Respiro - Video, 2025
Im Loop auf dem Bildschirm ist ein weiteres Video zu sehen. Es entstand in Zusammenarbeit mit dem Liceo Artistico Brera in Mailand. Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern wurde über Harmonie und Utopie nachgedacht – und darüber, wie sich diese Ideen durch den Atem ausdrücken lassen.