Ausstellung vom 2. April bis 1. November 2004
im Museum St. Ulrich
Kunstwerke aus über einem Jahrtausend in einem der außergewöhnlichsten Kirchenbauten des Mittelalters in Deutschland: Über 78 000 Besucher sahen die Jubiläumsausstellung zum 150. Geburtstag der Kunstsammlungen des Bistums.
Sie zeigte in der Vielfalt von Skulpturen, Gemälden und Collagen vom romanischen Kruzifix bis zur zeitgenössischen Plastik, wie Christus durch die Jahrhunderte dargestellt wurde. Und sein Bild hat immer auch etwas mit den Menschen zu tun, wie sie lebten, glaubten und hofften. Illustration von Mensch und Gott, Ausdruck des Schmerzes und göttlicher Herrlichkeit: Die Kunstwerke aus den Beständen des Diözesanmuseums sind Zeugnisse der Geschichte, der Frömmigkeit und des Geistes, der die Gesellschaft durch die Jahrhunderte bis heute geprägt hat.
Das Christusbild in der frühchristlichen Kunst
Wie Christus wirklich ausgesehen hat wissen wir nicht. Die ersten Beispiele frühchristlicher Christusbilder haben sich in den römischen Katakomben erhalten. Neben figürlichen Darstellungen stehen Symbole wie der Fisch. Ein weiteres Zeichen, das auf Christus verweist, ist das Christogramm mit den griechischen Anfangsbuchstaben X und P von "Christos". Die heidnische Kunst übt vielfältige Einflüsse aus. Zunächst erscheint Christus im 3. Jahrhundert in Bildern, die Ereignisse des Neues Testaments erzählen. Recht häufig wird mit Wunderszenen - Christus trägt die virga, den Stab des Wundertäters - ein Schafträger kombiniert, der als der "Gute Hirte" Jesus (Joh. 10,11) interpretiert werden konnte. Auch das beliebte Bildthema des Philosophen findet sich wieder, wenn Christus als Lehrer gezeigt wird. Im 4. Jahrhundert wirken Kaiserbild und Herrscherzeremoniell auf das Christusbild ein: Christus als göttlicher Machthaber über dem Himmelsgewölbe thronend - der Pantokrator, der Gebieter über den Kosmos.
Christusbilder des Mittelalters
Der Gekreuzigte ist das Hauptmotiv mittelalterlicher Kunst. Zu den großartigsten Kruzifixschöpfungen dieser Zeit zählen das Regensburger "Giselakreuz" von 1006 (heute in der Residenzschatzkammer in München) und das "Ottokarkreuz" (um 1261) im Domschatz. Der lebende siegreiche Herrscherchristus der Romanik, der Triumphator am Kreuz, wandelt sich zum leidenden, sterbenden Dornengekrönten der Gotik - die vormals meist nebeneinander am Kreuzfuß aufgestützten Füße werden nun übereinander genagelt. Die wohl grundlegendste Neuerfindung des Christusbildes ist der Typus der Majestas Domini: Christus thront auf einem Regenbogen oder einer Kugel (Sphaera) als Symbolen des Kosmos. In St. Emmeram zu Regensburg ist am Mittelpfeiler des Doppelnischenportals eines der ältesten Christusbilder auf einem Steinrelief zu sehen: ein großer thronender Christus um 1050. Eine thematische Abwandlung zeigt Christus als Richter. Doch auch der Weltenrichter und Weltenherrscher nimmt immer mehr vermenschlichte Leidenszüge an. Im Zentrum der Passionsfrömmigkeit des Spätmittelalters steht schließlich der Schmerzensmann: Christus als Inbegriff menschlicher Erniedrigung wird zur Andachtsfigur für das fromme Mitleiden durch den Menschen.
Christusbilder im Wandel vom Mittelalter zur Neuzeit
Die Kunst der Renaissance sieht das Göttliche im Ideal vollkommenster Schönheit. Im 15. Jahrhundert, an der Schwelle zur Neuzeit, entsteht ein neuer Bildtypus des erhöhten Christus: der Salvator mundi, der Erlöser der Welt. Das Motiv der Auferstehung und Verklärung gewinnt im 16. Jahrhundert eine besondere Bedeutung. Eine wichtige Rolle spielt das Licht. Es ist Bestandteil des Schönen mit Ursprung in Gott. Christus als Lichtgestalt ist Ausdruck seiner göttlichen Natur und des Sieges über den Tod. Buchdruck und Graphik popularisieren das Bildgut. Das kleine Andachtbild macht überkommene und neugeschaffene Christusbilder sehr volkstümlich. Albrecht Dürer bereichert mit seinen Holzschnitten und Kupferstichen die Christusikonografie. Häufige Bildthemen sind die Hochzeit von Kana, das Abendmahl, der wunderbare Fischfang oder die Schlüsselübergabe an Petrus. Die Passion wird als Hauptthema weitergeführt.
Christusbilder im Barock
Jesus als Mensch dieser Welt - seine Gleichnisse und Wunder aber als das menschlich Unfassbare: Die Kunst des Barock speist sich aus der Spannung zwischen diesen Gegensätzen. In der nachreformatorischen Zeit kommt das Kunstschaffen dem Bedürfnis nach dem gefühlvollen Erleben des gläubigen Schauens entgegen. Christus entrückt als heroische Gestalt in der himmlischen Erhebung zum Gott. Die Christusbilder werden zum Teil einer Gesamtinszenierung: Für die Glorifizierung Christi entdeckt die Malerei im Barock die freskierte Decke. Die mittelalterliche Vorstellung von Christus als dem "höchsten Licht" wird wieder aufgegriffen.
Das menschliche Begegnen und Erkennen wird zum wesentlichen Element im Christusbild, die Spannung zwischen Jung und Alt, Mann und Frau, Ruhe und Bewegung. Auch bei den Szenen der Passion treten Themen der äußeren und inneren Bewegung wie Ölberg, Kreuzaufrichtung und Kreuzabnahme, Beweinung und Grablegung, in den Vordergrund. Das Christusbild mit langem, in Locken fallendem Haar bereitet schon die gemütvollen Darstellungen des 19. Jahrhunderts vor.
Christusbilder im 19. Jahrhundert
Es ist die Epoche der Vielfalt der Christusbilder. In eher süßlichen Formulierungen von Ekstase
besteht das sentimental gezeichnete Christusbild mit den Wurzeln im Barock weiter. Die unvergleichliche Reinheit der Seele des göttlichen Jesus soll künstlerisch umgesetzt werden. Mit der gerade erfundenen Chromolithographie geht der schöne, sanfte Jesus in Serienproduktion. So wurden weithin Sehgewohnheiten und Frömmigkeitsstile bis heute geprägt. Ein Motiv, das im 15. Jahrhundert in der deutschen Kunst entstanden war, findet nun neue Verbreitung. Herz-Jesu-Darstellungen erleben im Umfeld von Gegenaufklärung, Romantik und Restauration eine
vorher nie erreichte Popularität. Daneben wird Kunst aus den Formen des Mittelalters neu belebt: Die religiös programmatischen Bilder der Nazarener zeigen eine statuarische Christusfigur ohne Verbindung zum alltäglichen Leben. In strenger Symmetrie der altägyptischen Kunst und mit idealhistorischem Kolorit steigert die Beuroner Schule diesen Typus zum dogmatischen Christusbild. Das 19. Jahrhundert bleibt dem traditionellen Heiland treu, auch wenn erste Versuche unternommen werden, zeitkritisch den Christus in der Welt und in der
harten Alltagswirklichkeit darzustellen.
Christusbilder im 20. Jahrhundert
Künstler vereinnahmen das Christusbild für ihre subjektive Daseinswelt. Das ist die Grundtendenz seit dem Aufbruch der Moderne. Die Themen Leiden, Kreuz und Tod werden zu Parabeln für allgemeine Fragen der menschlichen Existenz. Die Bandbreite der künstlerischen Lösungen reicht von stiller Meditation bis zum Hinausschreien von Schmerz und Protest. Christus wird zum Bruder der Randfiguren und Verzweifelten, zur Identifikationsfigur für Außenseiter der Gesellschaft. Sein Bild vermittelt in kräftiger Farbe und sich lösender Form Seelenzustände und mystische Empfindungen. Verschlüsselte Kompositionen werden zur freien Annäherung an die Transzendenz. In der Auseinandersetzung mit Kriegs- und Krisenzeiten werden Christusbilder zum Dreh- und Angelpunkt bei der Suche nach einer moralischen Neudefinition des Menschenbildes. In der Offenheit der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wird das Christusbild zur Herausforderung: zum Besinnen auf und eine Identifikation mit den Grundelementen der Christusbotschaft - im Sinne von Bischof Kapellari: der Glaube als eine Chance für eine neue Schule des Sehens.
"Christus - Das Bild des unsichtbaren Gottes": Im Verlag Schnell und Steiner ist zur Ausstellung ein reich bebildertes Kataloghandbuch erschienen (ISBN 3-7954-1671-X). Zur Einführung wird der Wandel in der Bedeutung des Christusbildes prägnant nachgezeichnet, vom frühen Bilderverbot bis zum Konzil von Nicäa (787 n.Chr.), von der bilderkritischen Bewegung der Zisterzienser im frühen 12. Jahrhundert über die fast heidnische Bilderverehrung zum Ende des Mittelalters bis hin zum Bilderstreit und -sturm der Reformationszeit. Der Katalogteil bietet neben Einführungen in die jeweiligen Kunstepochen ausführliche Werkbesprechungen und 90 großformatige Farbabbildungen der beispielhaft ausgewählten Exponate. Ein Glossar der Christusdarstellungen und ein Literaturverzeichnis komplettieren den Band
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